20.01.2025
Worte aus der Kirche zum 18.1.2025

Gnade vor Recht? Jede Woche hat in der evangelischen Kirche ein markantes Thema, das mit einem biblischen Wort verbunden ist. Aktuell geht es um zwei sehr kontroverse Begriffe – Gnade und Recht. „Von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade.“ Und dann geht der Text weiter: „Das Gesetz ist von Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden!“ So steht es im Johannes-Evangelium (Johannes 1, 16+17) Was „Gesetz“ bedeutet, muss man eigentlich nicht übersetzen.

Wir leben in Zeiten zunehmender Verrechtlichung. Alles muss bis ins kleinste Detail geregelt sein. Da bleibt manchmal für Phantasie kein Platz. Viele dieser Regeln helfen uns aber auch beim Unterscheiden von „Gut und Böse“. Manch einer möchte dagegen gerne seine ganz eigenen Regeln aufstellen. All die großen und kleinen Trumps und Putins dieser Welt. Da werden schon mal Grenzen verschoben und das Völkerrecht ignoriert. Also brauchen wir das Recht unbedingt! In unserer auf Erfolg und Leistung orientierten Welt scheint „Gnade“ dagegen überflüssig zu sein; klingt verdächtig nach Schwäche, nach Mangel an Durchsetzungskraft, nach Versagen. Wer laut ist und mit den Muskeln spielt, setzt sich durch. Da zählt das „Argument der Stärke“ mehr, als die „Stärke der Argumente“. Es scheint bequemer zu sein, den Anwalt zu bemühen, als mal über den Gartenzaun ein versöhnliches Wort zu reden. Also lieber Recht vor Gnade, als umgekehrt? Höchststrafe oder mildernde Umstände? Machen wir es konkret mit dem Amokfahrer von Magdeburg. Die Frage darf man den unmittelbar Betroffenen wohl nicht stellen, bzw. muss mit einer harten Antwort rechnen. Das biblische Thema in dieser Woche versucht Recht und Gnade nebeneinander zu stellen und nicht gegeneinander auszuspielen. Unbestritten, wir Menschen brauchen zur Orientierung ein gutes und funktionierendes Rechtssystem. Das wissen wir schon aus den mehr als 3000 Jahren alten biblischen Texten. Was wären wir und unser schönes BGB z.B. ohne die 10 Gebote. Aber das Gesetz allein gestaltet noch kein Leben, ist ergänzungsbedürftig. „Das Gesetz ist von Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden!“ Leider eine immer wieder verschüttete Erkenntnis. Was war es für ein Kraftakt für Martin Luther, die Gnade von Jesus Christus unter einem Berg von Gesetzlichkeit wieder hervor zu holen. Allein aus Gnade und nicht aus der Erfüllung der Gesetze werden wir vor Gott gerecht. Ich wünsche mir sehr, dass auch die behutsamen und leisen Stimmen, die sich für menschenwürdige Lösungen in unserer Gesellschaft einsetzen, Gehör finden. Denn wenigstens für uns Christen sollte allem voran gelten: „die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden!“ Das dürfen und müssen wir uns immer wieder sagen lassen. In diesen Sinn wünsche ich Ihnen eine gelingende Woche.

 

Michael Kleemann