16.03.2025
Worte aus der Kirche zum 16.03.2025

Vorsicht vor der Vorsicht   Das hat er nicht geschrieben?! Hat er schon. Bei meiner Vorbereitung für eine Veranstaltung über Dietrich Bonhoeffer stolperte ich über dieses Zitat: „Das Misstrauen und der Argwohn als Grundverhalten gegen die Menschen ist der Aufruhr der Minderwertigen.“

Dass ausgerechnet Bonhoeffer Menschen als Minderwertige bezeichnet, befremdet mich. Doch wollte der Satz aus dem Gefängnisbrief vom 8.7.1944 nicht aus meinem Kopf. Ich kann umformulieren: „Das Misstrauen und der Argwohn als Grundverhalten gegen die Menschen führt zu Aufruhr und mindert die Lebensqualität.“ Nun lenkt mich nichts von Bonhoeffers Beobachtung ab. Leider halte ich sie – in der umformulierten Weise – für aktuell.

Wenn Misstrauen und Argwohn die Grundstimmung sind, vereinzeln wir. Wenn jede journalistische Arbeit als gelogen wahrgenommen wird; wenn jede politische Aussage als Hinterlist gehört wird; wenn jede Meldung aus der Wirtschaft als Ablenkung von Selbstbereicherung verstanden wird, wird es eng.

 

Ja, natürlich muss das Leben mit etwas Misstrauen gesalzen sein. Tricks und Betrügereien gibt es leider zu Genüge. Doch wenn Menschen davon ausgehen, dass sie grundsätzlich hinters Licht geführt werden… was dann? Dann fühlen wir uns bedroht und wechseln in den Verteidigungsmodus. Oder wir werden zynisch. Vielleicht werden wir einfach nur einsam.

 

In der Bibel heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Wir können heute, wie in keiner anderen Zeit zuvor, sehr wohl allein leben. Für eine kleine Wohnung mag es reichen. Darin können wir uns einrichten. Wer halbwegs gesund und mobil ist, kann vieles allein schaffen. Die Nachrichten aus Deutschland und der Welt können ihren Beitrag leisten, dass man die eigenen vier Wände nicht mehr so gern verlässt. Und so, wie wir in der Wohnung, mögen sich Misstrauen und Argwohn in unserem Gemüt niederlassen. Denen gefällt es bei uns. Die werden richtig heimisch. Dann wird uns die Welt da draußen fremd. Die Menschen werden fremd.

 

Aber es ist nicht gut für uns, allein zu sein. Es ist nicht gut für uns, grundsätzlich misstrauisch zu sein. Es mindert auf Länge die Lebensqualität. Es tut uns nicht gut.

Auch auf die Gefahr hin, enttäuscht oder ausgetrickst zu werden: wagen wir Zutrauen. Sprechen wir bei Begegnungen im Alltag einen Satz mehr, als wir es üblicherweise tun. Wer sonst nichts sagt, sagt: „Guten Tag.“ Wer grüßt, kann bestimmt einen Satz zum Wetter sagen. Und so weiter. Am Ende lernen wir vielleicht sogar neue Freunde kennen. Wer weiß?

Das Leben ist zu wertvoll, um es sich und anderen durch dauerhaftes Misstrauen und Argwöhnen schlecht zu machen. Es ist gut, wenn Menschen das Leben teilen.

 

 

Pfr. Manfred Kiel (Schönhausen)