24.10.2024
Wort aus der Kirche zum 27.10.2024

Scherben brauchen Vergebung   Ich stehe am Schrank, greife nach einer Tasse, ziehe, und plötzlich fällt eine Schale mit heraus. Sie zerspringt am Boden. „Wer hat die denn da wieder hingestellt?“, rufe ich wütend. Während ich die Scherben zusammenfege, grummle ich vor mich hin. Ich selbst würde doch NIE eine Schale dorthin stellen…

Ich stampfe durch die Wohnung. Die erstbeste Person, der ich begegne, muss meinen Frust ertragen – und wird natürlich erst einmal für schuldig befunden. Es schaukelt sich hoch. Worte, die besser nicht gesagt werden sollten, hallen durch den Raum.

Später in einem etwas klareren Moment merke ich: Am Morgen habe ich schnell den Geschirrspüler ausgeräumt und die Schale ausnahmsweise zu den Tassen gestellt. Im Fach für die Schalen war kein Platz mehr. „Das kann einem ja mal passieren.“, denke ich. Ich verzeihe mir das schnell.

Aber zur anderen Person hingehen und mich entschuldigen? Das fällt mir schwer. Und so bleibt diese angespannte Atmosphäre zwischen uns bestehen.

Der Bibelspruch für die kommende Woche lautet: „Bei dir ist die Vergebung, damit man dich fürchte.“ (Psalm 130,4). Das angesprochene „Du“ ist Gott. Gott erträgt unsere ganzen Zornesausbrüche. Er ist sogar Mensch geworden, um sich ihnen direkt auszusetzen – und liebt uns trotzdem. Er sagt uns zu: „Ich weiß, dass du Mist gebaut hast und auch wieder Mist bauen wirst.“ Und trotzdem folgt darauf das Wort: „Ich vergebe dir.“ Denn er weiß: Das ist besser für unsere Beziehung. Und er hofft, dass wir es auch so untereinander machen.

Schuldige zu finden, kostet oft viel Energie. Und am Ende kommt meist wenig rum, wenn ich einen Schuldigen gefunden habe. Ich habe höchstens mein Ego etwas gefüttert. Aber zu welchem Preis?

Einander um Verzeihung bitten und einander zu vergeben ist wiederum auch nicht leicht. Es kostet Überwindung, schon bei kleinen Dingen. Aber doch: Wenn wir einander vergeben, dann ist das gut für unsere eigene Psyche und auch gut für unser Miteinander. Versuchen Sie es doch einfach mal!

Alexander Tiedemann

Pfarrer in St. Marien, Salzwedel