25.01.2021
Das Wort zum Sonntag vom 24.01.2021

Rut – miteinander aushalten

Ich finde es gut, wenn Paare bei der Hochzeitsplanung auch schon einmal einen Bibelspruch aussuchen. Ganz hoch im Kurs steht „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch.“ Meistens bleibt es bei dem Spruch – völlig zu Recht – auch nach einem amüsierten Moment: Wenn ich nämlich erzählt habe, dass diese Worte ursprünglich von der Schwiegertochter an die Schwiegermutter gerichtet sind.

Dahinter steht die Geschichte einer Frau namens Noomi im Buch Rut, dem kürzesten der Bibel: Als Wirtschaftsflüchtlinge kam die Familie in das Land Moab, weil sie in ihrer Heimat verhungert wäre. Ich habe gelernt, dass der Berliner Stadtteil Moabit seinen Namen nach dieser Geschichte bekam, weil Hugenotten, also Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, dort eine Zuflucht fanden. Sie integrierten sich und stiegen vielfach in höchste Ämter auf.

Für Noomi dagegen ist Moab ein fast schon verhasstes Land mit völlig fremder Kultur. Dennoch heiraten die Söhne dort ein, aber Vater und Söhne sterben bald. Damit ist die Witwe Noomi vollkommen rechtlos und ohne Lebensunterhalt. Ihr bleibt nur noch, verzweifelt auf gut Glück in ihre frühere Heimat zurückzukehren.

Ich kann an diese Geschichte nicht mehr denken, ohne einige Flüchtlingsfamilien vor Augen zu haben. Die erlebten unser Land als so kalt und abweisend, dass sie gescheitert und resigniert in ihr Herkunftsland zurückzukehrten und eher in Kauf nehmen, dass ihre Kinder dort in einer Terrorherrschaft aufwachsen als hier in Freiheit, aber als unerwünschte Fremde.

Auch Noomi hat keinerlei Hoffnung mehr. Ihren Schwiegertöchtern aus Moab aber rät sie, dort neu zu heiraten und sie damit im Stich zu lassen. Das wäre zum Überleben vernünftig für die Schwiegertöchter. Eine davon, Rut, ist es jedoch, die zu ihrer Schwiegermutter sagt: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.  Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden.“

Als ungeliebte, unnütze Flüchtlinge kehren die beiden Frauen in Noomis Heimatort zurück – Bethlehem. Die Geschichte hat aber ein Happy-End, und Rut wird nach Überlieferung der Bibel Urgroßmutter von König David und damit auch Ahnherrin von Jesus Christus. Rut ist also eine Weihnachts-Vorgeschichte.

Ein gutes Ehe- und Lebensmotto ist der Vers aus dem Buch Rut, weil diese Frauenpower so vorbildlich zeigt, was Verantwortung füreinander bedeutet: Sogar in Scheitern und Verbitterung beieinander auszuhalten, sogar über Volks- und Kulturgrenzen hinweg. Aus freien Stücken Probleme mit zu durchleben, für die man selbst nichts kann – vielleicht ist das ja auch eine der großen Corona-Herausforderungen. Rut macht Mut, es miteinander auszuhalten. Warum? Weil so Gott den Menschen gemeint hat.

Hartwig Janus, Pfarrer in Sandau