09.07.2022
Das Wort zum Sonntag dem 10.07.2022

Urlaubsreife und reife Urlauber

Die Welt ist urlaubsreif. Wir stehen im Jahreslauf sowieso am Beginn der Ferienzeit, auf die sich alle freuen. Mit jedem Tag, der vergeht, werden die inneren Bilder von uns am Strand bunter und konkreter. Oder soll es doch in die Berge gehen? Dann malen wir uns vielleicht schon den Ausblick beim Aufstieg aus oder die Stille, die auf den Hängen liegt. Nur der Berg ruft in der Abgelegenheit, in die wir uns hineinträumen.
Die Strapazen der vergangenen Jahre, die Sorge um die Ukraine und nicht zuletzt die starke Inflation kommen noch dazu. Es kommt mir so vor, als wären alle zumindest ein bisschen „urlaubsreifer“ als sonst zu dieser Jahreszeit. Ich schaue tagsüber in müde Augen und höre in lauen Sommernächten Zweifel, ob „das alles so weitergehen kann“. Und dieses „alles“ meint in der Tat so gut wie jeden Aspekt des Weltgeschehens. Kann das mit den Schulen / Preisen / Corona-Maßnahmen / Russland-Sanktionen / Arbeitslosen / erneuerbaren Energien / Kriegen so weitergehen?
Erkennen Sie sich ein wenig wieder? Haben Sie einen ähnlichen Eindruck von der „allgemeinen Lage“? Dann möchte ich Ihnen heute einen Gedanken in die Urlaubszeit mitgeben.
Im sperrigen Deutsch der Bibel lesen wir: „Kauft die Zeit aus!“ (Brief an die Epheser 5, 16), was man mit dem gängigeren „Carpe Diem!“ („Nutze den Tag!“) gleichsetzen kann. Unsere Zeit ist begrenzt und unsere Möglichkeiten, was wir mit ihr anfangen können, sind es auch. Dieser Gedanke dürfte vielen vertraut sein, aber eben auch die Erfahrung, dass er ein unerfülltes Lebensideal darstellt. Wie oft erkennen wir erst im Rückblick, was wir alles hätten aus dieser oder jener Zeit herausholen können? Wie oft lassen wir eine Gelegenheit unerkannt verstreichen und werden ihrer erst gewahr, wenn wir sie nicht mehr ergreifen können?
Welche Gelegenheiten mag die diesjährige Urlaubssaison für uns bereithalten?
Was heißt es, diese sommerliche „Zeit auszukaufen“?
Dieser Sommer ist eine große Chance, nichts zu tun.
Zwischen dem Hin-und-Her der letzten Jahre und vor dem Was-auch-immer-uns-erwartet in diesem Herbst können wir tief Luft holen. Wir dürfen die Frustrationen, die wir noch mit uns tragen, und die Sorgen, die wie Wolken am Horizont aufziehen, ablegen. Vielleicht wird es sinnvoll, sich mit beidem später zu beschäftigen, aber jetzt darf Ruhe einkehren. Dafür braucht man nicht viel. Manchen hilft eine Tasse Kaffee auf der Terrasse, andere greifen zum Buch. Die Augen schließen und für einen Moment nur den eigenen Atem zu beobachten, lässt alle Gedanken im Hinterkopf verstummen – und funktioniert ohne Terrasse, Kaffeetasse oder Buch.


Nutzen Sie diese Zeit – und vergeuden Sie sie. Ich wünsche Ihnen die Pause vom Alltag, die Sie brauchen.

Pfr. i. E. Alexander Schwartz
Ev. Pfarrbereich Klein Schwechten