10.12.2024
Worte aus der Kirche zum 3. Advent

Ein teures Weihnachtsgeschenk

Wenn die Welt am dunkelsten ist, zur Wintersonnenwende, versammelt sich ein Dutzend Kinder vor dem Garagentor des Pfarrhauses.  

Meine kleine Schwester zappelt vor Ungeduld, weil sie ahnt, dass zuhause Weihnachtsgeschenke eingewickelt werden. Morgen ist Heiligabend. Dann schmücken wir den Tannenbaum mit einer Lichterkette und bunten Kugeln. Auf dem Tisch liegt eine weiße gebügelte Tischdecke. Alles sieht so festlich aus. Ich stehe bibbernd unter der Straßenlaterne und entziffere im Dunkeln einen Liedtext. Der Knallkantor hat ihn uns in die Hände gedrückt. Wahrscheinlich nennt man ihn so, weil er einen Knall hat. Im Moment jault er energisch einen Melodieschlenker: da-da-da-da-da. Es ist ihm sehr wichtig, dass wir Kinder dieses uralte Lied gut singen können. Es handelt von einem Schiff, das voll beladen ist und bald ankommt. Auf dem Schiff ist Jesus. Im Krippenspiel stellen wir die Ankunft Jesu anders dar, aber ich bin zu schüchtern, um ihn danach zu fragen. Endlich funktioniert es und der Knallkantor scheucht uns Kinder durch die dunklen Gassen und einen Park zum Hospital. Hier riecht es nach sterbenden Menschen. Tapfer singen wir vor. „Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.“ Die Halbtoten lächeln und stecken uns Alkohol-Pralinen zu. Dann geht es weiter, zu einem geschmückten Fenster. Eine Frau schaut heraus, man erkennt kein Lächeln vor lauter Falten. Es geht ihr schlecht, sagt sie, und Weihnachten wird sie allein sein. Aber jetzt hört sie uns gern zu. „Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel.“ Sie hat einen Briefumschlag. Da ist bestimmt Geld drin. Der Knallkantor steckt es weg, das ist für die Kirche. Dabei freut sich die Frau doch gar nicht über die Kirche am Ende der Stadt, sondern über meine schöne Stimme. Am letzten Fenster werden mit der gleichen Klage wie letztes Jahr begrüßt: „Wieso nimmt der Herrgott mich nicht zu sich?“ Der Knallkantor weiß keine Antwort und lässt uns singen. „Danach auch mit ihm sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.“ Dann sprinten wir nach Hause. Die Abkürzung über den dunklen Friedhof ist viel weniger gruselig als die vielen einsamen Frauen im Hospital und an den Fenstern. Wir naschen Dominosteine und hören Frank Schöbels Familienweihnachtslieder. „Warum müssen wir denn immer zum Alteleutesingen gehen?“, seufze ich. „Na damit die Eltern die Geschenke einpacken können!“ Heute weiß ich: Weil das Jesuskind nicht geboren wurde, damit wir uns wohl mit unserer Familie fühlen. Das ist zu billig. Gott wurde Mensch, damit niemand sich allein fühlen muss, wenn die Welt am dunkelsten ist. Er schenkt uns Gnade, die teurer ist, als mancher geben mag.

 

von Maria Eichenberg, Schulpfarrerin im Kirchenkreis Salzwedel