19.04.2023
Trost ist Da sein
Lukas sitzt in der Bauecke und weint. Nele, die Praktikantin, setzt sich neben ihn. „Warum weinst Du denn?“, fragt sie. „Weiß nicht“, sagt Lukas, „Hab Angst.“ „Wovor denn?“ „Weiß nicht“, sagt Lukas wieder. „Dann bleib ich jetzt hier bei Dir“, sagt Nele, „bis die Angst weg ist. Einverstanden?“ „Ja“, sagt Jonas.
So geht Trost. Trost ist Nähe. Trost ist Da sein. Ein Mensch ist da und hält die Angst des anderen aus, die Trauer und den Schmerz. Manchmal aber ist keiner da, warum auch immer. Dann kann es tröstlich sein, sich an gute Worte zu erinnern, an Bilder der Hoffnung. Das Bild dieses Sonntags ist „Gott bzw. Jesus ist der gute Hirte“. Es gibt wohl kaum ein Gottesbild, das Menschen so anrührt wie das Bild vom „guten Hirten“. Generationen haben darin Trost und Halt gefunden. Es ist angefüllt mit unseren Sehnsüchten nach Ruhe und Geborgenheit, nach Frieden und einem Leben im Einklang mit der Natur.
„Der HERR ist mein Hirte“ - angesichts des Krieges, des Todes und der sinnlosen Zerstörung menschlicher Lebensmöglichkeiten? Glauben wir wirklich, was wir da sagen? So einfach, so naiv, so friedlich ist das Leben nicht. Täglich wird es geschändet. Täglich wird er verleumdet und verletzt: der Glaube an die Güte des Lebens. Jede/r Tote auf den Schlachtfeldern dieser Erde stellt ihn grundsätzlich in Frage: den Glauben an die Macht des guten, des göttlichen Hirten.
Und so geraten wir als Gläubige immer wieder in einen Zwiespalt. Wir sehen das Elend der Welt und den Schmerz der Menschen. Und unsere Fragen an Gott und unsere Zweifel an der Güte des Lebens sind groß, mitunter sehr groß. Größer als unsere Zweifel ist nur unser Vertrauen auf den guten Grund unseres Lebens. Größer ist nur unsere Hoffnung auf den guten Ausgang aller Dinge. Unsere Sehnsucht nach Geborgenheit; unsere Suche nach Frieden und dem guten Grund unseres Lebens: sie bleibt. Wie auch die Zusage Jesu: „Ich bin der gute Hirte.“
Gott, so glauben wir, ist der gute Hirte und der Hüter unseres Lebens. Er stärkt die Schwachen, aber er bestärkt sie nicht in ihrer Schwachheit. Er behütet die Starken, aber er hütet nicht ihre Stärke. Er verbindet die Verwundeten, aber er bindet sie nicht an sich. Gott bringt zurück, die sich selbst verloren haben, aber er zwingt sie nicht auf den richtigen Weg. Er macht sich vielmehr selbst auf die Suche nach uns Menschen. Er tröstet die Trauernden und steht den Ängstlichen bei.
Wie Nele dem ängstlichen Lukas. Eine ganze Weile haben sie in der Bauecke gesessen. Lukas hat es gutgetan. Er wurde gesehen und ernstgenommen in seiner Not. Niemand hat versucht, ihm seine Ängste auszureden. Es war einfach jemand da. Trost ist Da sein. Trost ist Nähe und Vertrauen. Vertrauen auf die Nähe von Menschen, die es gut mit uns meinen. Und Vertrauen auf die Güte Gottes. Denn niemand kann der wahre Hüter unseres Lebens sein, als nur der gute Hirte, Gott, allein.
Pfarrer Markus Schütte
Stadtgemeinde Stendal