02.07.2020
Das Wort zum Sonntag von Alexander Schwartz

Das Wort zum Sonntag


Liebe Leserinnen und Leser,

können Sie sich noch erinnern, wie zu Anfang der Kontaktsperre davon die Rede war, dass uns allen die Entschleunigung gewiss gut tun werde? Irgendwann konnte ich es schon nicht mehr hören. Dabei bin ich für Themen wie Achtsamkeit, Resilienz und Meditation durchaus empfänglich. Für Menschen, die mit solchem „Räucherstäbchen-Schnickschnack“ nichts anfangen können, muss das einfach nervig gewesen sein.

Radio-Moderatoren haben sich oft die Mühe gemacht, die Schließung von Party-Locations und Konsum-Tempeln zum Gewinn umzudeuten. Kein Shopping, kein Wachbleiben bis die Wolken wieder lila sind und keine Notwendigkeit für Detox-Parties. Hinterher haben wir alle Bücher, die so lange ungelesen im Regal stehen und uns täglich vorwurfsvoll anschauen, durchgelesen. Womöglich in einer Hängematte im Garten, der unter unserer liebenden Hand, die er nun viel öfter sehen wird, zum Quell der Erholung aufblüht.
In meinem Lieblings-Podcast haben sich die Moderatoren gegenseitig überboten mit selbstgekochten Rezepten. Mehr Ruhe und Achtsamkeit für sich selbst, für die einfachen Dinge, für das kleine Glück. Wie sie den Duft der frischen Zutaten tief einsaugen und ihre Finger alles, was sie hernach verspeisen würden, geradezu zärtlich berühren. Mit einer verklärten Miene schälen sie das Gemüse wie eine begehrenswerte Frau auf der Schwelle zum Schlafzimmer.

Wie sieht es mit Ihrer inneren Ruhe aus? Ich fühle mich nach Monaten der sich ständig ändernden Regelungen erschöpfter als vor Corona. Eine Auszeit zum Seele baumeln lassen wird es für zahllose andere auch nicht gewesen sein: Für die Gastronomie, für Kleinstunternehmer, für Zustellerinnen, für Menschen in kritischen Berufen, für Kinder wie Eltern. Wie viel Liegengebliebenes wurde wohl erledigt von Alleinerziehenden? Wie viel Ruhe hatten Mitarbeitende im Supermarkt wohl zum Lesen nachdem sie sich von unvernünftigen Kunden abwechselnd anhusten und Vorwürfe machen lassen mussten?

Schade eigentlich. Die Verheißung von innerem Frieden klang doch so verlockend. Was da aus den Radios, Smartphones und Bluetooth-Boxen zu hören war, hat die allermeisten nicht zu mehr Ausgeglichenheit und Seelenfrieden geführt. Ob das, was ich von der Kanzel aus sage darin immer und um Welten besser ist, wage ich allerdings auch zu bezweifeln.
Es braucht einfach mehr als einen Virus, um uns zur Entschleunigung und mehr Achtsamkeit zu bringen.
Ruhe finden für unsere Seelen.
Teilen von uns selbst nachspüren, die wie ungelesene Bücher einstauben.
Das können wir alle noch von Jesus aus Nazareth lernen.
Ein ewiges Leben lang.

Alexander Schwartz 21.06.2020

 

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